Seit Juni 2007 haben inzwischen vier mit 100 bis 200 Teilnehmenden gut besuchte Kundgebungen unter anderem mit renommierten Bands wie „Emscherkurve 77“ auf dem Alten Markt in Wattenscheid stattgefunden. Am 6. September steht nun schon das fünfte Demo-Event an, um die Forderung nach einem Kulturzentrum für Wattenscheid gegenüber der Kommunalpolitik nochmals zu untermauern. Wolfgang Wendland, Sänger der Kultband „Die Kassierer“ und Mitinitiator der Aktionsgemeinschaft, wird nicht müde, diesem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Im bsz-Gespräch erläutert er, warum.

bsz: Wofür kämpft die Aktionsgemeinschaft und mit welcher Motivation?
Wolfgang Wendland: Wir kämpfen für ein Kulturzentrum in Wattenscheid – eine Mischung aus Kino, Theater und Veranstaltungsort für Konzerte im Rock- und Popbereich. Ansatzweise hat es das bis vor mehr als zehn Jahren in Wattenscheid schon einmal gegeben – die Lokalität wurde jedoch geschlossen, weil die Stadt sie nicht ausreichend unterstützt hatte. In der Zwischenzeit gab es lediglich das sogenannte „CentrumCultur“, ein angebliches „Kulturzentrum“ der Arbeiterwohlfahrt, das schließlich in Räumlichkeiten ziehen musste, wo nicht einmal die Voraussetzungen gegeben waren, Veranstaltungen durchzuführen, die von mehr als 30 Personen besucht werden. Zusammen mit einem Kollegen entwickelte ich daher die Idee, eine neue Lokalität zu schaffen, wo man zumindest Konzerte veranstalten könnte. Ich denke, dass die kulturelle Situation in Wattenscheid so prekär ist, dass man darüber hinaus unbedingt ein Kulturzentrum einfordern sollte, um in diesem Teil der Stadt eine kulturelle Grundversorgung sicherzustellen.    Â

bsz: Warum gestaltet sich die Auseinandersetzung um ein Kulturzentrum für Wattenscheid so schwierig? Hat dies wattenscheidspezifische Gründe?
Wolfgang Wendland: Meines Erachtens ist das kein wattenscheidspezifisches Problem, sondern mehr ein bochumspezifisches: Die politischen Entscheidungsprozesse in dieser Stadt sind nicht fassbar – auch nach langjähriger Kulturarbeit ist mir immer noch unklar, wer in Bochum wirklich die kulturpolitischen Entscheidungen trifft. Die eigentliche Entscheidungsfindung scheint sich hauptsächlich jenseits der offiziellen Gremien abzuspielen. Außerdem schotten sich die Politiker hier systematisch ab und es findet fast kein Dialog zwischen Bürgern und Parteien statt.

bsz: Langweilig aber unvermeidlich: Wie sähe die Finanzierung des Kulturzentrums aus?
Wolfgang Wendland: Ich denke, dass das Kulturzentrum einen Zuschussbedarf von etwa 60- bis 80.000 Euro im Jahr hätte. Das hört sich zwar erstmal nach viel an, wäre aber in etwa die gleiche Summe wie jene, die es ermöglicht, dass es in Bochum-Gerthe den „Kulturrat“ gibt. Gemessen am gesamten Bochumer Kulturetat wären das ungefähr ganze zwei Promille… Nimmt man nur jenen Teil des Kulturbudgets, der für Alternativkultur – das heißt für die „Freie Kulturszene“ wie den Bahnhof Langendreer oder das Prinz-Regent-Theater – ausgegeben wird, werden derzeit lediglich circa vier Prozent des Etats für Wattenscheid aufgebracht, obwohl dort rund 20 Prozent der Bevölkerung lebt. Das ist ein viel zu krasses Missverhältnis!

bsz: Zu Eurer vorigen öffentlichkeitswirksamen Aktion heißt es auf Euren Netzseiten, die von mehr als 100 Leuten besuchte Kundgebung sei ein voller Erfolg gewesen. Hast Du dem etwas hinzuzufügen?
Wolfgang Wendland: Wenn 100 Leute zu ´ner Kulturveranstaltung nach Wattenscheid kommen, ist das immer gut… Daran gemessen, dass beim letzten „Familienfest“ in Wattenscheid, das der Bezirk mit einem Gesamtetat von 10.000 Euro durchgeführt hat, bei der letzten Band als „Topevent“ gerade mal 60 Leute dabei waren, kann man das durchaus als Erfolg werten.

bsz: Wieviel Polizei war diesmal da?
Wolfgang Wendland: Ich würde sagen, das ist immer ein bisschen überdimensioniert, aber das Verhältnis zu den Polizeibeamten aus Wattenscheid ist eigentlich ganz gut – bislang ist alles immer sehr stressfrei abgelaufen. Aber – auch als Steuerzahler – denke ich dennoch: Das könnte man auch billiger haben. Sobald bei einer Veranstaltung auch nur ein paar Punks kommen, gehen bei den Ordnungsbehörden immer sofort die Alarmlampen an. Das ist ungefähr so, als wenn Raumschiff Orion von den Frogs angegriffen wird.

bsz: Ist aus Sicht der Aktionsgemeinschaft absehbar, dass die politischen Hindernisse ausgeräumt werden können, um den Weg für ein Kulturzentrum zu ebnen?
Wolfgang Wendland: Das Hauptproblem ist meiner Einschätzung nach, dass etwa seit der „Jahrtausendwende“ Mittel des zivilen Ungehorsams wie etwa Hausbesetzungen kaum mehr möglich sind. Man geht mit solchen Dingen heute wesentlich restriktiver um als noch in den 80er Jahren. Wir stehen vor der Schwierigkeit, dass man gegenwärtig ständig nach neuen Konzepten suchen muss, um Öffentlichkeit zu gewinnen und den Politikern auf die Nerven zu fallen. Die Jahre 2009 mit den anstehenden Kommunalwahlen und 2010, wo das Ruhrgebiet ja angeblich „Kulturhauptstadt“ wird, bergen noch einige Möglichkeiten, tätig zu werden! Â

bsz: Seht Ihr hierbei potentielle Bündnispartner?
Wolfgang Wendland: Bündnispartner ist erstmal jeder, der diesen offensichtlichen Mangel wahrnimmt. Es ist jedoch so, dass insbesondere viele Politiker das Problem gar nicht sehen. Ich denke, dass „der Kommunalpolitiker an sich“ mit Scheuklappen durch die Welt läuft.

bsz: Wie sähe die Welt nach einem kulturpolitischen Sieg im „Bochumer Westen“ aus? Welche Akzente will die Aktionsgemeinschaft setzen, wenn das Projekt realisiert wird?
Wolfgang Wendland: Das Wichtigste ist, wenn nach außen hin deutlich wird, dass es sich um einen städtisch bezuschussten Laden handelt, wo Interessierte aktiv mitmachen können – dass es um ein demokratisch geleitetes Kulturzentrum geht, wo die Besucherinnen und Besucher auch wirklich zu Akteuren werden können und es nicht so ist wie bei anderen Institutionen, wo man den Eindruck hat, die gehören irgendjemandem. Es müsste daher auch ein deutlich offeneres Konzept sein als beispielsweise beim Kulturrat Gerthe oder beim Prinz-Regent-Theater…

bsz: Wäre das Kulturzentrum vor allem als Element einer Gegenkultur in Opposition zum kulturellen Mainstream intendiert oder ist vielleicht eher ein Mischkonzept à la Bahnhof Langendreer angedacht?

Wolfgang Wendland: „Mainstream“ beim Bahnhof Langendreer wäre wohl auf jeden Fall die Disko – dieses „Problem“ würde sich in Wattenscheid bei der angepeilten Raumgröße für kleinere Konzertveranstaltungen mit etwa 250 Personen gar nicht stellen, da Diskoveranstaltungen dort eigentlich nicht funktionieren könnten. Letztendlich soll das Kulturprogramm nicht unbedingt „den“ Mainstream bedienen, sondern einzelne „Szenen“ – sei es ´ne Punk-, Heavy-Metal- oder Hip-Hop-Szene. Das ist eine ziemlich schwierige Arbeit, die dann von mehreren Leuten, die sich in den einzelnen Szenen auskennen, gemacht werden muss. Im Idealfall erreichst Du viele Leute, ohne Mainstream zu werden…

Für mich hat Kultur außerdem immer noch was mit Bildung und Demokratie zu tun und nicht mit bloßer Unterhaltung. Bestimmte Alternativtheater-Dinge sind für mich eher „Unterhaltung für Alternative“ als eine „Alternative zur Unterhaltung“.  Â

bsz: Was hältst Du vor diesem Hintergrund von kulturpolitischen Initiativen wie dem geballten Einsatz für ein Konzerthaus in Bochum? Hast Du zufällig mal ausgerechnet, wie viele alternativkulturelle Zentren in dieser Stadt entstehen könnten, wenn auf ein solches Prestigeprojekt verzichtet werden würde?
Wolfgang Wendland: Von den Bau- und Betriebskosten her vielleicht sieben. Das wäre schon gigantisch… Nach meiner Einschätzung ist das Konzerthaus ein Prestigeprojekt, das nur einige wenige in der Stadt haben wollen, die aber über genügend Macht verfügen, um zu suggerieren, die ganze Stadt wollte das. Vielleicht hat es zwar eine gewisse Tradition, so etwas zu fördern, aber insgesamt ist der gewaltige Zuschussbedarf der sogenannten „Hochkultur“ schon ein bisschen dekadent – insbesondere wenn man sich vorstellt, dass jede einzelne Eintrittskarte in einer Weise gefördert wird, dass sich in einem selbstverwalteten Kulturzentrum ein Künstler darüber freuen würde, wenn er den Förderbetrag von 100 bis 200 Euro als Gage erhielte.

bsz: Bei Eurer supererfolgreichen ersten Kundgebung gab es unter anderem einen Theaterbeitrag, wo Euer Kulturzentrums-projekt auch als Gegengewicht zu einer bislang eher rechtslastigen politisch-kulturellen Tendenz in Wattenscheid herausgestellt wird. Siehst Du gute Chancen, um durch ein Kulturzentrum für Wattenscheid einen entscheidenden Beitrag zu leisten, diese Tendenz umzukehren?
Wolfgang Wendland: Wenn man sieht, dass sich in Wattenscheid die Landeszentrale der NPD befindet und dies ein Ort ist, wo es eigentlich außer Langeweile nichts gibt und der somit einen idealen Nährboden für rechtsradikale Tendenzen bietet, müsste es für jeden demokratischen Kommunalpolitiker offensichtlich sein, dass man hier tätig werden und so etwas wie ein Kulturzentrum unterstützen müsste – aber leider ist das nicht der Fall. Ich bin davon überzeugt, dass gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Rechtsrock und ähnliches einen starken Einstiegsfaktor in die rechtsradikale Szene darstellt. Um dem etwas entgegenzusetzen, finde ich es sehr offensichtlich, dass es äußerst sinnvoll ist, demokratisch organisierte Kultur – gerade aus dem linksalternativen Spektrum – zu fördern. Â

bsz: Immerhin war das Kulturzentrum für Wattenscheid inzwischen Thema im Kulturausschuss der Stadt Bochum. Was ist dabei herausgekommen?
Wolfgang Wendland: Aus der Kultur­zentrumsidee ist im Bezirk Wattenscheid zunächst eine „Testphase“ geworden, in der man irgendwelche Veranstaltungen durchführt – womit natürlich das eingereichte Konzept erstmal völlig ignoriert wird, denn dort steht ja drin, dass es eigentlich überhaupt keine geeigneten Räumlichkeiten hierfür gibt. Ich weiß nicht, ob man es als Erfolg bezeichnen kann, dass das Kulturamt jetzt 8.000 Euro zur Verfügung gestellt hat, um Rockkonzerte in Wattenscheid zu veranstalten. Wenn man dafür den Raum und das Equipment anmieten muss, reicht das gerade mal für drei bis sechs Veranstaltungen im Jahr.
Erst 2009 wird ein eventuell geeigneter Raum in einem mit öffentlichen Verkehrsmitteln äußerst schlecht erreichbaren Proberaumzentrum im ehemaligen Industriequartier „Zur fröhlichen Morgensonne“ zur Verfügung stehen. Für mich klingen die Pläne eher vage – fast wie ein Schildbürgerstreich oder eine Maßnahme, uns mit Unsinn zu beschäftigen. Ich bin mir jedenfalls noch nicht sicher, was ich davon halten soll, und wie ich die übliche Vorgehensweise in Bochum kenne, geht das Geld dann – wie schon beim kulturell untätigen CentrumCultur – wieder an die AWO.

bsz: Wolfgang Wendland, herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Wolfgang Wendland: Gern geschehen!

Das Interview wurde geführt von Ulrich Schröder.

Die nächste Kundgebung der Aktionsgemeinschaft steht am 6. September ab 15 Uhr an: Auf dem Alten Markt in der Wattenscheider Innenstadt werden dann die Punkbands „Die Wut“ aus Gelsenkirchen und „T.S.K.b.“ aus Bochum für Stimmung sorgen.

Infos zur Aktionsgemeinschaft Kultur­zentrum Wattenscheid im Netz:
www.gesternwarmorgen.de

 

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