Mit dem Alfa Romeo
in die Zukunft
Sehe ich eigentlich auch so bescheuert aus, wenn ich Kaugummi kaue, fragte ich mich als ich mit der Straßenbahn durchs nächtliche Essen unterwegs war. Ein noch komischeres Gesicht als der junge Mann mit dem Kaugummi machte allerdings die ältere Dame, welche mit hingebungsvoll rhythmischen Kieferbewegungen ein Lutschbonbon mit Zunge und Gaumenmuskulatur bearbeitete.

Trotz spannender Begleitliteratur auf meinem Schoß, konnte ich die Blicke nicht von diesen eigentlich etwas Unwohlsein hervorrufenden und an wiederkäuende Kamele erinnernde Grimassen lassen.
Fast pünktlich erreichte ich mein Ziel und sah noch aus dem Augenwinkel den kauenden Jüngling seine karies- und speichelfördernde Zwischenmahlzeit auf den Boden vor der Straßenbahn spucken. Ich bin mir nicht sicher, ob hier von Mahlzeit die Rede sein darf, wo doch der tiefere Sinn nicht in der Verdauung der selbst produzierten Verdauungssekrete besteht, sondern wohl in der Ablenkung von persönlichen Dingen, wie einer Nikotinsucht oder einem nahenden Appetitgefühl, herbeigeführt durch die überdimensionierten Konsumbitten der Erzeugerindustrie entlang der Bahnstrecke.

Obdach in Oberhausen

Wenn in einigen hundert Jahren eine neue Zivilisation die Reste der unsrigen entdeckt, werden diese regelmäßig in der Nähe von Bus- und Bahnwartehäuschen anzutreffenden und dort unregelmäßig verteilt klebenden weißen Brocken, den Forschern Rätsel aufgeben. Handelt es sich um Stoffwechselendprodukte der sich auf Schienen bewegenden Stahlriesen? Fuhren die sich fortbewegenden Menschen mit Absicht zu diesen Häuschen am Straßenrande um Zeremonien abzuhalten oder ihren Göttern mit Abgaben in Form kleiner klebriger Knubbel zu huldigen?
Wir werden es genauso wenig erfahren, wie den Grund für die Reklame für das neue Nachtexpressnetz im verspäteten Nachtexpress, der mich zum Jahreswechsel noch zu einem ungewollten halbstündigen Zwischenstopp am in keinster Weise reizvollen Oberhausener Hauptbahnhof zwang.
Vielleicht hätte ich in dieser Situation „Die magische Kraft der Hexenkunst“ gebraucht. Mit der „Aufnahme kosmischer Energie“ hätte ich die „Bösen Mächte fernhalten“ können, die den Nachtexpress in diabolischer Manier verlangsamten oder an der Uhr des Oberhausener Bahnhofs drehten, um so den Anschlußexpress verfrüht abfahren ließen. Hätte ich doch nur dieses „aufsehenerregende Hexenbuch“ von Autor und Erzbischof der Kirche von Wicca B. Sc., Ph. D., D. D. Gavin Frost.“ Es ist bestimmt ein großformatiges Buch, auf welches auch dieser lange pseudowissenschaftliche Titel des Herrn Frost gehört. Seine Mitautorin und Frau schafft es nur zum A.A., D.D. „Sich auflösende Gallensteine“ und Kindergelähmte, die wieder gehen können sind erst der Anfang einer Zukunft mit „automatisch gesichertem Erfolg.“

In 15 Minuten zum Millionär

Die zitierte Reklame ist übrigens schon drei Jahrzehnte alt und fand sich auf der Rückseite eines Perry Rhodan-Heftes. Ganzseitig. Die GWUP hätte ihre helle Freude daran. GWUP ist übrigens die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Und Perry Rhodan scheinbar ein Magazin für eine gar seltsame Zielgruppe. Das läßt zumindest auch die übrige Werbung im vergilbten Heftinneren vermuten. Sexualtonikum direkt ab Fabrik zur sofortigen Freistellung der sexuellen Bereitschaft. Nicht vergessen: 15 Minuten vorher einnehmen. „Mein Alfa Romeo ist startbereit,“ verrät uns eine verdächtige Kleinanzeige. „Bine, nettes Mädel, Anfang 20 mit Vermögen und Grundbesitz“ wünscht „eine Liebesehe.“ Diese Anzeigen stammen aus einer Zeit, in der gerade der Besitz eines Automobils auch weiteren Wohlstand und ein gutes Gelingen in der Beziehung verhießen. Im Heft der Vorwoche suchte noch eine „Halbwaise mit Derby GLS-Wagen“ ebenfalls die Liebesehe. Hoffentlich haben sie sich gefunden, die Derby-GLS-Fahrerin und ihr weißer Reiter auf dem goldenen Pferd oder mit Opel Kapitän. Die genauen Vorlieben einer Derby-GLS-Fahrerin sind mir nicht bekannt. Vielleicht interessiert sie sich auch für „Zauberapparate vom Fachmann.“Â Oder für das „neu erschienene 6. und 7. Buch Moses.“
Mir bleibt noch die Überlegung ob ich lieber „in 82 Tagen“ mit „Astronautengerät“ und „Saugnapfgriffen in Panzeroptik“ zu echten „Männermuskeln“ kommen will oder doch lieber „in 91 Tagen zum Millionär.“ Mit der Million könnte mir die Bine mit ihrem Alfa Romeo doch gestohlen bleiben. Da kauf‘ ich mir einen echten Mercedes.

RRR

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