JedeR kommt täglich drauf, aber nur wir sprechen drüber
Die Wahl des Themas für eine Diplom- oder Abschlussarbeit ist keine leichte Aufgabe. Es sollte ein spannendes Thema sein, Neues muss erforscht und dokumentiert werden und auch die Spannung darf nicht auf der Strecke bleiben. Geht man die Sache nicht konzentriert genug an, kann es passieren, dass ein richtiges Scheißthema dabei herum kommt, das keinen interessiert und auf Jahre in den Regalen der Fachbibliotheken verstaubt. Doch es gibt auch Menschen, nun, eigentlich ist uns nur einer bekannt, der sich mit großer Hingabe ein solches Scheißthema ausgesucht und mit Erfolg behandelt hat. Damit ihr nun nicht denkt, die bsz berichte über die langweiligste Diplomarbeit der vergangenen Dekade, dem sei mit dem Buchtitel „Das Klo im Kino“ auch schnell das Wortspiel erklärt und nebenbei gesagt, dass einer unserer Ruhr-Uni-Absolventen dieses Werk als Abschlussarbeit seines Studiums der Film- und Fernsehwissenschaften vorgelegt und jüngst beim LIT-Verlag veröffentlicht hat.
Der Mann hinter dem Buch heißt Philipp Tschirbs und hat sich in der vergangenen Woche mal mit uns zusammengesetzt, um über eben dieses Buch zu sprechen. Angefangen hat sein Forschungsinteresse auf diesem eher ungewöhnlichen Terrain, von welchem auch der betreuende Professor erst überzeugt werden musste, mit der Aussage eines Komillitonen, es gäbe keine Klos im Kino und Leinwandhelden müssten nie. Binnen Sekunden hatte Tschirbs mit der Erinnereung an „Trainspotting“ einen Gegenbeweis für die Existenz des Klos im Kino parat. Im Laufe der Forschungsjahre wurden es hunderte Filme, die gesichtet und auf ihre Klopräsenz überprüft wurden.
Hitchcock muss als Erster
Dabei kam heraus, dass trotz der nicht mehr ganz jungen Geschichte des Kinofilms, das Klo erst recht spät den Einzug auf die Leinwand gehalten hat. Mit Ausnahmen zweier Filme aus den 30er Jahren, gab es Jahrzehnte lang nicht viel vom doch eigentlich selbstverständlichen und alltäglich benutzen Klo zu sehen. Den Durchbruch für die Geschichte des Klos im Kino legte einer der ganz Großen: Alfred Hitchcock. Fast alle ZuschauerInnen von Psycho erinnnern sich an den Duschvorhang und den kurz darauf stattfindenden Mord, doch wer hat bemerkt, dass kurz zuvor die Klospülung betätigt und die dazugehörige Schüssel gezeigt wird? Zum damaligen Zeitpunkt ein harter Tabubruch, der für die Folge der in Filmen eingesetzten Kloszenen jedoch der Durchbruch war.
Langsam arbeitete man sich an das Thema heran. In frühen Kloszenen wurden noch teils hochelegante Mittel zur Verschleierung benutzt. Irgendjemand steht im Weg, wenn man eigentlich den Schwenk auf intime Details erwartet, eine Zeitung im Überformat wird gelesen um nur den Kopf herausschauen zu lassen oder Brigitte Bardot läßt beim Pinkeln einfach den Rock an.
Die zeitliche Entwicklung bringt dann jedoch immer mehr Details in den für die ZuschauerInnen sichtbaren Bereich, gibt Szenen mit oder auf dem Klo entscheidende Funktionen für den Verlauf der Handlung oder kombiniert in vielen Fällen den Tabubruch des Intimen mit anderen Tabus. So ist das Filmklo oft auch Ort von Gewalt und Sex.
Was rein kommt, muss auch raus
Interessant auch, wie es überhaupt erst zum Fehlen des Klos auf der Leinwand kam. Hier hilft ein Blick in die Geschichte des Stuhlgangs. Diese begangenen Stühle standen einst in den Palästen der Reichen, die, um sich vom Pöbel stylistisch abzusetzen, so etwas wie das erste Klo erfanden. Ein abgetrennter Raum zum Scheißen mit Sitzgelegenheit. Erst später hielt diese Sitte auch in den Normalhaushalt Einzug. So wanderte das Klohäuschen vom Hof in die Zwischenetagen und noch später in die Wohnung hinein, verbunden mit einer stetigen Steigerung der Intimität und Verdrängung der Thematik aus dem öffentlichen Raum und somit auch zunächst aus dem Kino.
Man sprach und spricht auch heute noch teilweise nicht gerne über die alltägliche Themen Klo und Verdauung. Der durchschnittliche Bauarbeiter noch eher als der Snob. Dabei scheißen doch alle Menschen gleich. Vielleicht liegt genau hier einer der Gründe der frühen Kloabwesenheit. Eine fehlende persönliche Differenzierung der Charaktere im Film durch eben diese Gleichheit. Beim genauen Gegenteil, dem Konsum, lassen sich hingegen vortreffliche Unterschiede fest- und darstellen.
Die Details im Verborgenen
 Doch wollen wir nicht zu breit über abwesende Klos reden. Denn, wie oben erwähnt, passiert auf dem gar nicht so stillen Örtchen oft Entscheidendes oder Spannendes. Durch die räumlich bedingte Anordnung eines Klos als Sackgasse, können Begegnungen an einem solchen Ort böse enden. Ein Fluchtweg fehlt und man ist der Gefahr, die sich durch die einzige Tür nähern könnte, ausgeliefert. Andersherum bietet gerade die Abgeschiedenheit eines Klos auch Versteckmöglichkeit vor den Augen Anderer, und das nicht nur zum Kacken, sondern auch als Fluchtmöglichkeit, für sexuelle Handlungen, Drogenkonsum („Christiane F.“), Gewalt (John Travolta stirbt in „Pulp Fiction“ nach dem Klogang) oder als Versteck für Gegenstände (Das Tagebuch in „8mm“ oder die Waffe in „Saw“). Man ist alleine und fühlt sich sicher. Was für den Film einen doppelten Tabubruch darstellt, ist für die Protagonisten eine Erlösung.
Mit dem Blick in die scheinbar private Atmosphäre des Klos der Protagonisten, erhalten die ZuschauerInnen also wichtige Einblicke, die dem Rest der Akteure verborgen bleibt, lernt eventuell sogar noch etwas über den Charakter des Betroffenen. Ist es ein sauberer Mensch, ein verheirateter Mensch, ein Guter oder ein Böser? All das kann das Klo im Kino leisten. So bietet sich auch die Möglichkeit der Identifikation mit der Figur auf der Leinwand anhand typischer und vielleicht nur auf dem Klo erkennbarer Verhaltensmuster.
In einer Vielzahl neuerer Filme, insbesondere aus dem Komödiengenre, wird die Darstellung des Klos mittlerweile völlig enthemmt und überzogen dargestellt. Die Begegnungen dienen mehr der Belustigung (Ben Stillers eingeklemmter Schniedel, Die nackte Kanone in jedem Teil), als der Erklärung. Die Tricktechnik hat Einzug gehalten in die vier Wände des Klos und der Einsatz von Fäkalien in allen Formen und Mengen scheint kein Problem für das Publikum mehr darzustellen.
Eine positive Entwicklung in Anbetracht der Tatsache, dass der Umgang mit dem Thema Klo, Verdauung und Defäkation uns eigentlich in die Wiege gelegt wird und wir scheinbar nur verlernt haben, richtig damit umzugehen. Hier sollen auch keine Urängste vor Gefahren und Unreinheit als vorgehaltener Grund dienen, etwas alltäglich durchgeführtes so an den Rand der Gesprächs- und Darstellungswelt zu drängen.
Philipp Tschirbs Buch „Das Klo im Kino“ leistet so einen Beitrag zur Normalisierung und Unverkrampfheit. Das Interesse an dem Thema scheint, genau wie ein gewisser Aufklärungsbedarf, vorhanden zu sein.
Verdaung im Kinosessel
Beim nächsten Kinogang werdet ihr die Handlung nun hoffentlich mit ganz anderen Augen und Vorkenntnissen beobachten. Hier ein Klo, dort ein Griff in die Schüssel. Oder euch fallen auf Anhieb noch drei bis fünf nicht hier erwähnte Kloszenen aus Filmen ein, die ihr schon längst gesehen habt. Das Buch bietet zur Recherche selbstverständlich eine Filmographie aller relevanten Werke im Anhang und, wie es sich für eine wissenschaftliche Veröffentlichung gehört, auch eine Vielzahl spannender Verweise auf weiterführende Literatur. Bei aller Brisanz der Thematik bietet Tschirbs durch das gesamte Werk eine intensive und fundierte Abhandlung über das Klo im Kino, so dass keine Fragen offen bleiben.
Der Weg in die Forschung und Analyse ist nun also frei für Euch. So will es der Autor schließlich. Ein wenig Aufmerksamkeit fordern und fördern, um die Film- und Fernsehwissenschaft populärer zu machen und in den Augen der ZweiflerInnen etwas mehr Anerkennung zu schüren. Vielleicht schafft ihr es demnächst, genau wie Phlipp Tschirbs, euer Ruhr-Uni-Studium efolgreich abzuschließen und mal ein Buch darüber zu schreiben. Und wenn nicht, dann scheiß drauf.
RRR
Philipp Alexander Tschirbs
Das Klo im Kino
LIT-Verlag, 296 S., 24,90 Euro
ISBN 3-8258-0100-4
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