Folge eins: bsz
Ja, ja. Die Nacht der Stars und Sternchen. Ja, Ja, der rote Teppich und all das. Die Frauke Ludowig auf Prominentenjagd. Sie hat dieses Kleid von dem da an und er hat sich extra den ganzen Tag im Fitnessstudio aufgepumpt und wurde dabei von jenem Fernsehsender begleitet. Er war auf der Sonnenbank, aber zu lang, sie dort drüben war auch drauf, aber zu kurz und man hat gehört, bei ihm würde mit diesem Getränk gefeiert. Die ganze Show eben, für die sich ein paar Hausfrauen und sogenannte Medienwissenschaftler die Nacht um die Ohren schlagen.

Aber dann: Deutscher gewinnt Oskar! Gibt’s ja nicht! Hat er sich doch tatsächlich durchgesetzt gegen einen Film aus Mexiko (gemeint ist natürlich: Pan‘s Labyrinth), dessen Dialoge einer schwachsinnigen Kindergärtnerin aus Castrop Rauxel im Glutamatschock von ihrem Meerschweinchen zugeflüstert wurden. Bravo! Bravo! Dieser Teufelskerl! Das hat er sich (womöglich auch noch: redlich) verdient, sagen die einen. So wie er sich da auf der Bühne und in der Bild-Zeitung präsentiert, hat er nichts verdient, außer dass er einmal Pan‘s Labyrinth sehen muss, sagen die anderen.
Es ist aber auch nicht leicht: Da ist dieser große Saal, voll mit schönen Leuten und daneben sitzen auch noch reiche Leute und dann hat man die ganzen Erwartungen und wenn man Pech hat, ist man übergewichtig und schwitzt und hat schon zu viel getrunken, oder überhaupt noch nichts, und also viel zu wenig getrunken und irgendwie ist das alles schon komisch, insbesondere, wenn man sich überlegt, dass auf der ganzen Welt irgendwelche Hausfrauen und sogenannte Medienwissenschaftler sich das ganze Spektakel live im Fernsehen anschauen.
Wenn dann auch noch der Fall der Fälle eintritt und man den Preis gewinnt, dann ist alles aus: Das ist die Höchststrafe. Man kann sich ab da nur noch blamieren. Aber genau das kann man wissen. Entweder man fängt vor Glück an zu heulen und keiner versteht mehr, was man da von einer unglücklichen Jugend in einer eher unwirtlichen Gegend einer amerikanischen Großstadt vor sich hin, mehr flennt und schluchzt als redet. Hinzu kommen dann zwangsläufig Danksagungen an die Eltern und auch an Gott den Allmächtigen und die amerikanische Gesellschaft, die es bisher noch jedem ermöglicht hat zu schaffen, was er (oder neuerdings auch: sie) sich vorgenommen hat (nur eben nicht alle zur gleichen Zeit: es kann immer nur einen Präsidenten geben und nur einige wenige Oskargewinner etc.). Ein solch emotionaler Ausbruch wird (noch) nicht von allen als rührend empfunden.
Wie man’s auch dreht und wendet mit dem Preis: man kommt da nicht mehr raus, und ist man erst einmal geschmücket und behanget, wird es unvermeidlicherweise menschlich und also: dilletantisch (darauf hoffen natürlich auch die Hausfrauen und Medienwissenschaftler am Fernseher). Man kann schauen, was schlaue Leute versucht haben, um sich bei Preisverleihungen aus der Affäre zu ziehen, aber deren Rezepte kann man nicht noch einmal verwenden, das wäre dann doch zu schäbig. Etwas von einem vorbereiteten Zettelchen vorlesen, hilft auch nicht weiter. Dem verschwitzten Jubel einfach freien Lauf lassen: geht immer, kommt aber auch immer ungut an. So hat das der deutsche Oskargewinner dieses Jahr aber gemacht: einfach Mal so richtig gefreut: mit Oskar in die Kamera halten und Preis widmen (was zu entschuldigen wäre, gäbe es neben einer Statue auch noch Geld).
Für seine (wenn auch Fremdscham hervorrufenden) gezeigten echten Gefühle muss man den Mann nicht sofort verdammen: geldgierinduzierte Infantilität gibt es auch sonst schon genug im Fernsehen zu schauen, warum also auch das Nachtprogramm damit belasten, wo es doch zu dieser Zeit schon längst nicht mehr um die Quote (vulgo: Wurst) geht. (1)1
Hier also der endgültige Gegenvorschlag zur Herbeiführung grenzenlosen Jubels: Total besoffen auf die Bühne taumeln. Auf die geflüsterte Frage, ob übersetzt werden muss, mit „Ja“ antworten. Sich schielend an goldener Trophäe festklammern, dabei sagen: „Mann, bin ich Tutti.“ Lauschen, wie das übersetzt wird, dann irre kichern.
Dann alle Konzentration auf die folgenden Wörter: „Frosch, Ficken, Idiot“ Das wird erwartungsgemäß wie folgt übersetzt: „Frog, fucking, Idiot“. Das Publikum wird irritiert reagieren, man darf sich aber von Raunen, Murmeln et cetera nicht aus der Balance werfen lassen. Man übersetzt nun seinerseits das Übersetzte zurück in die Muttersprache, also: „froschfickender Idiot“. Wenn der Dolmetscher nicht weiterübersetzt, ruhig grob anfahren. Er sollte dann folgendes hören lassen: „Frogfucking Idiot“.
Daraufhin sagt man: „So, jetzt hat man ja eindrucksvoll hören können, welche Missverständnisse beim Übersetzen auftreten können. Sie denken, ich hätte zwei Mal das Gleiche gesagt, dem war aber nicht so. Einige Feinheiten der Sprache gehen bei so einer Übersetzungsprozedur offenbar nur allzu leicht verloren. Das ist ja bekannt. Aber auch das umgekehrte Phänomen kann beobachtet werden: Aus im Original scheinbar banalen Sätzen kann mittels Übersetzung ein hochanspruchsvoller Dialog werden. Eine solche Verwandlung scheint meinem, alles in allem doch mehr als mittelmäßigen Filmchen bei der Übersetzung in die englische Sprache wiederfahren zu sein, wie jeder, der das deutschsprachige Original gesehen hat, ebenso mutmaßen muss. Anders kann man es sich nicht erklären, dass die englischsprachige Jury einen solchen Steifen, wie den meinigen, für eine Ehrung für würdig befinden kann. Oder sollte es tatsächlich so sein, dass immer nur das Mittelmaß in der größten Bewunderung steht?2 (2) Wie ich dem Schweigen des Publikums entnehme, wurde ich nicht verstanden oder aber doch verstanden. Das kann ich nicht wissen. Dass aber irgendetwas in den Gehirnen des Publikums vor sich geht, sehe ich an Siegfried und Roy, die sich in der allerletzten Reihe gerade nicht mehr einkriegen, was ich auf ihre in glorreichen Phantasialandtagen erworbenen Deutschkenntnisse mich zurückzuführen getraue. Ja, Ja: Deutsche Sprache, komplizierte Sprache. Ich danke ihnen.“
Dann geht man vom Podest runter, lächelt in die Photographenmeute, wedelt mit der errungenen Trophäe hin und her und kann sich schon mal überlegen, was dieser Oskar wohl bei einer ebay-Auktion einbringen wird, vorausgesetzt, man denkt in diesem Moment an seinen Anlageberater (dem man kurz zuvor eigentlich auch hätte danken können; hat schließlich auch noch niemand gemacht). Dann wäre es aber endgültig an der Zeit, die kurz zuvor gierig verschlungenen dreiundzwanzig Schrimpcocktails, die bis dato auf einem Schampusozean vor sich hin dümpelten, auf das süßwasserperlenbesetzte Kleid von Nicole Kidman zu erbrechen. Dann bekommt man auch den Respekt, den man will: Von der Bochumer Studierendenzeitung.

Benz

P.S.
Wer mitteilen oder wissen will, was Nicole Kidman wirklich anhatte, bitte: bsz@rub.de

(1) Erstaunlich: man kann auch zu genau gegenteiligen Schlussfolgerungen gelangen, wie der Programmdirektor von 9Live, und seine Kollegen aller anderen deutschen Fernsehsender beweisen.
(2) Sicherlich bald schon von sogenannten Medienwissenschaftlern vorgelegt: Der Oskar als Stigma für mittelmäßige Filme und Filmemacher? – Eine phänomenologische Annäherung an Martin Scorsese und sein Spätwerk.

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