Ehre, wem Ehre gebührt.
Am Donnerstag, 11. April 1968 wurde Rudi Dutschke, Professor der Soziologie, SDS-Mitglied und Autor, Opfer eines Attentates, an dessen Spätfolgen er elf Jahre später starb. Zu seinem Gedenken gibt es 40 Jahre später in Berlin eine nach ihm benannte Rudi-Dutschke-Strasse, die sich pikanterweise mit der Axel-Springer Strasse kreuzt. Eben dieser Verleger und die Berliner CDU-Fraktion (8,7% der Wählerstimmen*hust*), wollten mittels Bürgerentscheid die Rücknahme der Umbenennung erzwingen, womit sie jedoch scheiterten. Eine Interessensgemeinschaft und der Axel Springer Verlag klagen weiterhin, und verschiedenste Parteien nutzen die Kampagne für den Wahlkampf – die initiierende Tageszeitung poliert ihr Image. Rudi würde sich im Grab umdrehen, sollte es nicht eigentlich nur um seine Ehrung gehen? In Gedenken an Rudi Dutschke und zu unserem eigenen Gedenken zum kurz bevorstehenden 40jährigen bsz-Jubiläum, hier noch einmal ein Text aus dem Extrablatt der Bochumer Studenten Zeitung vom 13. April 1968 in original 68er Rechtschreibung, welches vor kurzem vom Internetmagazin burks.de wiederentdeckt wurde.

jkae

„Am vergangenen Donnerstag um 16.30 Uhr wurde Rudi Dutschke beim Verlassen des SDS-Zentrums auf dem Ku-Damm in Berlin durch drei Pistolenschüsse lebensgefährlich verletzt. Die Schüsse waren in Brust, Gehirn und Gesicht eingedrungen. Nach mehrstündiger Operation meinten die Ärzte, es würde sich erst nach mehreren Tagen herausstellen, welche Schäden der Hirnsteckschuß verursacht habe. Der Täter hatte sich nach kurzer Flucht in einem Keller versteckt und wurde nach einem einstündigen Feuergefecht mit der Polizei verletzt. Über seine Person sind bisher Name und Alter bekannt: Josef Bachmann, 23. Gleich nach Bekanntwerden des Attentats fanden sich in Berlin, Frankfurt, Essen, Bonn, München und Bochum die Studenten zu spontanen Demonstrationen zusammen. Heute demonstrieren französische Studenten vor der deutschen Botschaft in Paris. In Bochum hatten sich am Donnerstagabend um 23 Uhr rund 200 Demonstranten vor dem Bahnhofsgebäude versammelt. In Berlin zogen etwa 3000 Menschen nach einer Versammlung in der Technischen Universität zum Springer-Hochhaus. Sie drückten im Erdgeschoß Fensterscheiben ein und drangen ins Foyer des Springer-Hauses vor. Eine Garage wurde in Brand gesetzt. Die Polizei vertrieb die Demonstranten mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln. Zwei Studenten wurden krankenhausreif gefahren, als ein BILD-LKW in die Demonstranten fuhr.
Unterdessen vollzog sich ein makabres politisches Schauspiel: Kiesinger sandte ein Telegramm an Dutschkes Frau, und Bürgermeister Neubauer, Urlaubsvertreter von Klaus Schütz, eilte ins Kankenhaus, um sich nach dem Befinden des schwerverletzten Dutschke zu erkundigen. Hatten die Schuldigen ein schlechtes Gewissen, daß sie so schnell reagierten? Diejenigen, die seit Monaten eine systematische Hetze gegen politische Minderheiten betreiben, sind heute erschrocken, weil alle Welt weiß, daß ihnen die Pogromstimmung in Berlin zu verdanken ist. Nach einer friedlichen Vietnam-Demonstration, an der etwa 14000 Menschen teilgenommen hatten, zettelte der Berliner Senat eine Gegendemonstration an. In dieser vom Senat bestellten Kundgebung kam die ganze Hysterie der Berliner Politik zum Ausbruch. Der Regierende Bürgermeister hetzte in seiner Rede auf dem Kennedyplatz die Massen gegen die Studenten auf: anschließend kam es zu Ausschreitungen. Völlig Unbeteiligte wurden verprügelt, wenn sie nur wie Studenten aussahen. Die Polizei stand tatenlos daneben.
Der Verwaltungsangestellte Lutz-Dieter Monde (25) berichtete nachher: ‚Ich hatte fürchterliche Angst. Sie schrien: Schlagt ihn tot, hängt ihn auf. Sie meinten mich. Ich geriet in das brüllende Menschenknäuel und wurde zum zweitenmal niedergeschlagen.‘ Der ärztliche Befund: Eine Schädelprellung, eine Rißwunde an der linken Augenbraue, Prellungen am ganzen Körper, eine Verstauchung des linken Fußgelenkes. Der Angestellte war nur deshalb geschlagen worden, weil er von der aufgehetzten Masse für den verhaßten Rudi Dutschke selbst gehalten wurde. Der gleiche Berliner Senat, der die schweren Polizeiausschreitungen Im Juni des vergangenen Jahres auf dem Konto hat, der den Tod des Studenten Benno Ohnesorg verschuldete, nimmt sich heute die Frechheit heraus zu behaupten, er habe diese Form des politischen Kampfes nicht gewollt. Wie viele Studenten müssen noch sterben, ehe die ÖffentIichkeit einsieht, daß die ‚Demokraten‘ in unserem Land mit faschistischen Methoden jede Demokratie zerstören?
Es hat einen Grund, daß die Studenten in den beiden vergangenen Nächten vor die Springer-Häuser gezogen sind. Springer publiziert heute: 32% aller Tageszeitungen, 90% aller Sonntagszeitungen, 16% aller Publikumszeitschriften (Illustrierten) und 88% aller Jugendzeitschriften. Springer ist so mächtig, daß er Meinungen manipulieren und abweichende Meinungen unterdrücken kann. In Berlin besitzt er praktisch das Presse-Monopol. Die Verdummungsmaschinerie des Springer Konzerns wird eingesetzt, um das herrschende politische System zu stützen und Demokratisierung zu verhindern. Am Donnerstag trugen Demonstranten in Berlin Transparente mit der Aufschrift: BILD hat mitgeschossen! Der Tod von Benno Ohnesorg, das wissen wir jetzt, war kein Einzelfall. Auch die Falschmeldungen und Lügentiraden der Springer-Blätter sind nicht zufällig. Sie sind konsequenter Ausdruck einer Politik, die Prügelknaben braucht (Juden, Neger oder Studenten), um ihre eigenen Machenschaften zu verdecken. In den USA ist der Mord an dem Führer einer politischen Minderheit (Bürgerrechtsbewegung) gelungen. Mit politischen Morden hat sich auch in der Weimarer Republik der Faschismus angekündigt.
Die Schuld liegt nicht bei den Attentätern, wer diese auch immer sind. Sie liegt bei denen, die sie verführt haben.“

AutorIn unbekannt

0 comments

You must be logged in to post a comment.