Basilikum & Sex
Es zieht, es ist kalt, es ist eng. Vier Glühbirnen hängen an der Decke, eine ist kaputt. Die Wände des ca. 30m² großen Raumes sind marode, der Putz blättert fast überall ab, die Fußleisten sind beschädigt. Ein Wasserboiler an der Wand brummt und gluckert vor sich hin. Irgendwo spielt jemand Kontrabass. Vogelgezwitscher ist zu hören. Durch die großen Fabrikfenster des alten Backsteinhauses zieht die eisige Winterluft. An der Außenwand zieht sich ein schmaler Heizungskörper entlang. Die Wärme reicht aber kaum aus. Unbequeme Holzstühle machen den Aufenthalt noch beschwerlicher. Am Besten man behält die Daunenjacke und den Schal an. Eine Garderobe gibt es sowieso nicht. Wo man sich befindet?
Es ist die Probebühne des Prinz-Regent Theaters in Wattenscheid. Probebühne? Jawohl. Unter diesen Umständen mussten bis jetzt die vier Darsteller des Stückes „Im Schlitten Arthur Schopenhauers“ von Yasmina Reza ihre Proben bewältigen. Frierend und mit nur einem Klo für alle, welches sich auch noch hinter dem Haus befindet.
Das Stück, aus dem Französischen übersetzt, handelt von dem in die Jahre gekommenen Philosophen Ariel Chipman, welcher sich in einer existentiellen Lebenskrise befindet und das Haus nicht mehr verlässt, sondern lieber in seinen Morgenmantel gehüllt in seinem Sessel verharrt, von seiner verbitterten Frau Nadine Chipman, welche zugibt von der Arbeit ihres Mann eigentlich nie wirklich Ahnung gehabt zu haben, von einem vermeintlichen Freund des Ehepaares Serge Othon Weil, der vergeblich versucht Ariel zu motivieren und zu guter Letzt von der ein wenig unterkühlten Psychiaterin des Ehepaares, welche sich bis zum Schluß die einzelnen Monologe anhört und das finale Wort hat.
Nicht nur für Philosophen
Das Stück behandelt wesentliche Themen und Problembereiche des menschlichen Daseins, die jedeN von uns in irgendeiner Weise und zu irgendeinem Zeitpunkt im Leben betreffen, die aber gleichzeitig die Absurdität des eigenen Daseins aufdecken. Was wollen wir eigentlich in unserem Leben? Wer sind wir? Was haben wir bis jetzt erreicht? Wie verhalte ich mich anderen gegenüber?
Markant für das Stück ist, dass es, wie oben erwähnt, aus reinen Monologen besteht. Auch beinhaltet die ruhige Inszenierung unter Sibylle Broll-Pape keine aufwändige Handlung, sondern beschränkt sich gezielt und sehr wirksam auf das gesprochene Wort.
Die vier DarstellerInnen Udo Thies, Angelika Bartsch, Volker Weidlich und Maria Ammann sitzen während der gesamten Aufführung auf jeweils einem Stuhl und bewegen sich nur vereinzelt nach einem beendeten Monolog mit ihrem Stuhl ein Stück über die Bühne. Ihre Monologe sprechen sie in einer Art Gesprächskreis nach vorne in Richtung des Publikums. Dieser gekonnte Verzicht auf großartige Interaktion führt dazu, dass man sich als ZuschauerIn auf das Wesentliche, den Inhalt der Monologe, konzentrieren kann.
Pädagogische Krawatte
Die dominierende Farbe des Stückes ist eine frühlingshafte Mischung aus Beige, Apricot und Rosa, die im starken Kontrast zum Grau der Figur des Ariel Chipmans steht. Dieser wirkt so gekonnt verloren in seinem alten, warmen Morgenmantel, dass man unweigerlich versteht, was ihn bedrückt, auch, wenn er nichts sagt. Im Gegensatz dazu wirkt das grelle Kostüm seiner Frau schon fast zu aufgesetzt, zu oberflächlich. Und dennoch fühlt man ihre Enttäuschung über das Leben mit. „Wollen wir nicht alle ein anderes Leben?“, fragt sie einmal Serge Othon Weil. Dieser wiederum scheitert mit seinem Vorhaben Ariel anhand von unwichtigen Geschichten aus seinem Berufsleben aus dessen Apathie zu holen.
Die Psychiaterin beendet das ganze Stück mit ihrem Monolog über ihre eigene Abneigung gegenüber Menschen, die sie in ihren Augen in ihrem Leben, wie zum Beispiel nach dem Einkauf auf der Straße, behindern, bis sie über den Gedanken des Todes zum Punkt der Kindheit zurück gelangt und still anfängt sich zu erinnern.
Wer Interesse an französischem Existentialismus hat oder mehr als nur einfache Abendunterhaltung genießen möchte, dem sei dieses Stück wärmstens ans Herz gelegt.
aw
Am 7.,9.,10 und 11. Februar 2007, 20.30 Uhr, Prinz-Regent Theater
Dauer: 1:20 Std.
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