Ein dickes B wehte über das „Hurricane“: Bloc Party, Beastie Boys und Bright Eyes brachten den Eichenring neben Headliner Pearl Jam zum Beben. 70.000 Fans wurden nass und berauscht.

Der allgegenwärtige Schlamm ficht sie nicht mehr an, die Festivalfreaks in Scheeßel. Sie sind es gewohnt. Gut 70.000 von ihnen verwandelten den idyllischen Eichenring im platten Land zwischen Hamburg und Bremen am Wochenende wieder in eine wüste Rock-Landschaft. Der Regen war schon vorher da – trotz ausgelegtem Mull und Sägespänen allenthalben kannte der schwarze Schlick kein Erbarmen. Scheeßel, der Schlamm-Planet.
Nur die Bühnen blieben trocken. Dafür kamen die Helden darauf ordentlich ins Schwitzen. Allen voran Pearl Jam. Die lange vermissten Grunge-Helden versetzten die berauschte Menge vor der „Green Stage“ in totale Ekstase. Leadsänger Eddie Vedder schien sein Mikro zeitweise gar aufzufressen, so ging er in seinem ersten Deutschland-Auftritt seit fast fünf Jahren auf.
Überraschenderweise stand eine noch junge Band dem Headliner in nichts nach: Bloc Party. Die Brit-Rocker um den charismatischen Leadsänger Kele Okereke schwangen sich zum heimlichen Höhepunkt auf. Stets mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen präsentierte sich die Band, deren aktuelle Platte in England zehn Wochen auf der Eins verharrte, in prächtiger Tanzlaune. Tracks wie „Helicopter“ oder „The Prayer“ ließen die tosende Menge vor der „Green Stage“ pulsieren, Balladen der Güteklasse von „The Modern Love“ kühlten ab. 2005 waren Bloc Party das „neue große Ding“, inzwischen scheinen sie auf dem besten Weg zu Stadiongröße.
Da waren die Beastie Boys schon vor zehn Jahren. Auch heuer gaben sie einen würdigen Headliner ab. „Sabotage“ oder „You Gotta Fight For Your Right (to party)“ sind immer noch Glückshormon-Garanten. Tanzende Ekstase war garantiert. Allerdings ließ sich auch nicht verhehlen, dass Mike D. & Co. bei den weniger populären Tracks deutliche Altersschwäche aufwiesen. Breakdance erscheint bei Mittvierzigern suboptimal.
In der späten Samstag-Nacht hingegen präsentierte der Eichenring seinen Ergebenen ein besonderes Spektakel. Kontrastprogramm war angesagt. Während auf der „Blue Stage“ Bright Eyes mit Songwriter-Genie Conor Oberst in Balladentiefen eintauchten, begann direkt nebenan Grusel-Rocker Marilyn Manson seine schaurig-schöne Heavy-Metal-Oper. Hier regierten Geigenstriche, dort brachiale Basswände. Aus einiger Entfernung wurden beide Bühnen erkennbar und die so unterschiedlichen Sounds verschmolzen – ein bisher unbekanntes Erlebnis, das so wohl nicht so schnell wiederkommt.
Die Dimension eines Massen-Festivals wird in Scheeßel deutlich: Insgesamt wurden 700 Mobiltoiletten aufgestellt, 23.500 Meter Zaun aufgebaut und 90.000 Müllsäcke verteilt. Das Festivalgelände rund um den Eichenring umfasst 140 Hektar. Auf gut 35.000 qm wurde also gerockt, gecampt und geparkt.
Auch Bochumer Festivalfreaks nahmen massenweise die 300 km in Kauf, um am Spektakel teilzuhaben. Nahende Klausuren oder Hausarbeiten spielten da eher eine Nebenrolle. „Ich habe mir meine Bücher mitgenommen“, schmunzelt etwa Miriam, die an der RUB Medienwissenschaften studiert. „Aber das ist eher ‘n Alibi“. Für Jörg ist das Hurricane Pflichtprogramm. „So’n Festival ist rauskommen aus’m Alltag, endlich mal die Sau raus lassen“, findet er. Selbst als Studi hätte man ja sonst nicht die Freiheit, „einfach mal in total verdreckten Klamotten rumzulaufen, ohne dass jemand doof guckt“. Gesagt, getan – Jörg stürzt sich mit seinen Kumpeln ab in die nächste Schlammschlacht. Andere waren wegen der Musik hier – wie Nadine. „Ich hatte Bright Eyes noch nie live gesehen – ein echtes Erlebnis“, sagt die 24-jährige Jura-Studentin.
Wer glaubt, das war alles, kennt die Gesetze des Massenfestivals nicht. Auch das „Mittelfeld“ des Hurricane wurde durch Größen wie die Fantastischen Vier, Ex-Blur-Frontmann Damon Albarn und seinen „The Good, The Bad & The Queen“ oder die deutschen Shooting-Stars „Fotos“ aufgewertet. „Virginia jetzt!“, Dauergäste in Scheeßel, lieferten schließlich einmal mehr den Soundtrack zum Spektakel: „Erst kommt der Blitz / dann kommt der Donner / und am Ende ein ganzer Sommer“. Tatsächlich: Am Ende lugte gar die Sonne durch die Regenwolken. Die wollte wohl auch Pearl Jam sehen.

m bp

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