Diente der Comicladen pickligen Jugendlichen und dicklichen Junggesellen ehedem als Anlaufstelle zur Verschleuderung horrender Summen von Taschengeld und Lohn aus dem Verkauf von Computerbauteilen und also dem Erwerb von Plastiknippfigürchen, die den Charakteren von Filmen nachempfunden sind, die Frauen nicht schauen, so ist er (der Comicladen) nun zu einer Art Exklusivausrüster für die Pokerfreunde geworden. Derzeit gibt es wohl kaum etwas anderes, was die Herzen sämtlicher Comicladenbesitzer in Deutschland höher schlagen lässt als die Pokerwelle die über die Republik rollt, und die Frage, wie die nächste Pizzalieferung zu bezahlen sein wird, hat sich erübrigt, seit die Bewohner Deutschlands nicht mehr ohne die passenden Plastikscheibchen und Spieltischimitatsplastikplanen Karten spielen kann.
Es ist bekannt, dass man für die Ausübung nahezu jeder Freizeitbetätigung auf die passende Ausrüstung angewiesen ist (besonders markantes Beispiel: Boccia), doch an der Pokerbewegung kann man sehr schön studieren, wie sich ein Hobby verbreitet. Neben den Utensilien (sogenannte Pokerchips und Kartenspiele und nicht etwa: bierfleckige Polohemden in Größe XXL) wird auch noch ein völlig neuer Sprachstil benötigt, um dem neu gefundenen stilecht frönen zu können. Wie so oft ist es das Privatfernsehen, das als Quelle für diese Art von Sondersprache herhält. Beispiel: Setzt ein Pokerspieler einem anderen an der illustren Pokerrunde teilnehmenden mittels übler Nachrede oder anderweitiger sprachlicher Sticheleien zu, so heißt dies im Pokerjargon nicht etwa „neckische Witzelei auf Kosten des Gegenüber“ oder „derber Scherz über die kognitiven Fähigkeiten des Mitspielers“, sondern „trash talk“. Werden einem Mitspieler zwei Asse ausgeteilt, so sagt der bewanderte Pokerspieler nicht etwa „Aha, schau Mal an: Zwei Asse!“, sondern er wird von „pocket rockets“ sprechen.
Checkraiseflopriversidepot
Doch wie konnte Poker die Hinterzimmer der eher düsteren Kneipen verlassen und zu einer Massenbewegung werden? Wie kommt es, dass es im gesamten Ruhrgebiet kein(e)(n) Kiosk/Bude/Büdchen/Trinkhalle mehr zu finden gibt, in der nicht auf farbenfrohen Plakaten für die Teilnahme an einem Pokerturnier in dieser oder jener Stadthalle geworben würde? Ist das die Neunliveisierung der Gesellschaft? Weit gefehlt: Eine Erklärung für dieses Phänomen findet man in Theorien Karl Marx’ (wo sonst?). Poker ist im Grunde nichts weiter als ein großer Traum von Solidarität und Mitmenschlichkeit innerhalb der Klasse der sogenannten armen Schlucker. Diese Leute tun sich zusammen und werfen einen Teil ihrer kargen Ersparnisse in einen großen Topf („pot“- so der pokerdeutsche Ausdruck korrekterweise) und spielen daraufhin ihr leicht eingängliches Kartenspielchen um einen Endsieger zu ermitteln. Dieser sogenannte Endsieger erhält nun den großen Topf voller Geld und verlässt die Klasse der armen Schlucker (meist nicht für sehr lange, wie die unglücklichen Schicksale der ferrarikaufenden Lottomillionäre eindrücklich belegen). Viele zahlen einen Betrag ein, der keinem den Hering vom Teller zieht und einer aus der Runde wird reichlich beschenkt: Der wahrgewordene amerikanische Traum (american dream): Aus der Gruppe der Unterprivilegierten schwingt sich ein Heros auf und wird ein leuchtendes Vorbild für den Rest (Rapstar, Basketballstar und eben nun auch: Pokergott).
Auf Klugscheißer: scheißen
Einige krittelige Klugscheißer werden sagen: Mit dieser Ideologie, dass es hier jeder zu etwas bringen kann, wird die Masse unterdrückt, oder: Das ist alles Schikane der Kapitalisten, um die Proleten an der Nase herum zu führen etc. Die Grünen werden diesen Menschen ins Gesicht kreischen: „Wir können doch nicht alle Lamborghini fahren“ und sich damit für den Marxisten der Koalition mit den bürgerlichen Kapitalisten verdächtig machen.
Aber auf die Meinungen von kritteligen Klugscheißern kann man mit Desinteresse und Ignoranz reagieren. Wer dieses Verhalten im Falle des Pokern anvisiert, sollte sich schleunigst in den nahgelegensten Comicladen begeben und sich dort mit allem zur Hobbyausübung und Freizeitgestaltung nötigen Utensilien eindecken. Wie er die authentischen Bier- und Fettflecken auf sein Polohemd bekommt ist im Internet nachzulesen). Zusätzlich empfiehlt sich der Kauf einer verspiegelten Sonnenbrille mit Marihuanablatthologramm auf den Linsen. Damit kann der gewiefte Pokerspieler seine geldgierigen Augen vor den Blicken seiner Mitspieler verdecken. Â
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