Ein Fest für die Schattenwirtschaft

Das musste jetzt mal sein. Wenn die verantwortlichen Herrschaften schon so nett sind die große Zusammenkunft der Liebe (die Loveparade), von unserer werten Bundeshauptstadt Berlin in die Kulturhaupstadt 2010 zum Berliner Platz verlegen, darf die BSZ vor Ort nicht fehlen.
Millionen Raver waren von den Pressekollegen angekündigt worden, die sich durch die Straßen der sonst eher bescheidenen Essener City quetschen würden, begleitet von lauter Musik und bestückt mit ebenso laut leuchtenden Bekleidungsstücken. In Erwartung dieser farbenfrohen Gesellschaft machen wir uns also auf den Weg zu Floats und Beats.
Schon auf der Anreise zur Partylocation, welche wir dank naher Wohnstätte zu Fuss zurücklegen begegnet uns das erste internationales Publikum und fragt uns nach Auskünften in einer uns fremden Sprache. Nach einigen Versuchen mit Gestik und Mimik die Fragestellung zu klären, einigen wir uns darauf, dass es nur Einheimische mit von Alkohol und Drogen gelähmter Zunge waren, die wie mit ihren artikulatorischen Problemen lieber alleine lassen.
Ein paar hundert Meter stehen wir mittendrin in dem, was man wohl Loveparade nennt. Wenn wildes Saufen und wildes Pinkeln als freie Liebe gedeutet werden, sind wir hier genau richtig. Lautstärketechnisch bin ich erstmal enttäuscht. Eine zwölfköpfige Jugendgang samt getuntem VW Polo hat etwa das gleiche Niveau.
Sesselpupser und Ampelmännchen
Nur die wenigsten Anwesenden scheinen von Verkleidung und Bewegung als Raver und Techno-Jünger identifizierbar. Selbst auf den Lastkraftwagen, pardon: Floats, scheinen sich die Langeweiler aus den Essener Büroetagen eingekauft zu haben und bewegen ihre biergeformten Leiber höchst unrhytmisch im Dreivierteltakt oder jedenfalls gegen den Beat der unter ihnen wummernden Boxen. Auf den Straßen selbst bleiben genügend große Lücken für die Senioren, die noch mal schnell in die Stadt wollten, um was zu besorgen, sowie für die Scharen von Komasäufern, die nachmittags um viere auf dem Asphalt liegen als hätte der Erdboden sie ausgekotzt oder noch etwas munterer die Ampelmasten hochklettern, weil sie es im fernsehen so gesehen haben.
1,2 Millionen?
Wie rechnen die Verantwortlichen eigentlich die Teilnehmer aus? In den historischen Rückblicken der TV-Sender fing alles mit 150 Ravern im Jahre 1989 an. Schon im Jahr darauf waren es 1500 dieser zappelnden Gesellen auf dem Berliner Ku-Damm. Doch ab dem dritten Jahr beginnt die Zahlenverfälschung. Ab sofort werden Besucher gezählt, nicht Raver. Also auch all die Omas und Opas am Strassenrand, welche beim Einkauf in ihrer Pelzboutique aus den Tagträumen gerissen werden und mal kurz schauen, was denn da auf der Straße so wummert und ob es nicht doch die Russen sind, die da kommen. Wer nun in Essen von über einer Million Besuchern spricht, rechnet neben den 20000 Ravern auch die 980.000 Schaulustigen und sonstigen Einwohner, welche gerade mal beim Bratkartoffeln ihr Küchenfenstern auf Kipp stellen, mit.
Was all diese Menschen scheinbar ermöglichen, ist die Umsatzsteigerung der Essener Wirtschaftskleinbetriebe. Selbst die hinterletzte Kaschemme, vom ordinären Call-Shop bis zum Fahrradladen, hat sich das Warenlager voller Bier- und RedBull-Dosen gestopft, in der Hoffnung auf das Geschäft des Jahres. Diese Hoffnungen wurden für die meisten Geschäftsleute erfüllt.
Schattenwirtschaft
Im Schatten dieser Verkaufsumsätze floriert zudem ein zweiter, oft in der Öffentlichkeit verschwiegener, Wirtschaftszweig: Die Pfandwirtschaft. Auch wenn es sicherlich einfacher wäre, direkt seine Geldscheine auf Straße zu werfen, hat sich die Raver- und Sauf-Gemeinde dazu entschlossen, das Vermögen in kleine Stücken auf dem Asphalt zu verteilen. Hier liegen mehr Flaschen als Menschen auf der Schützenbahn. Soviele, dass selbst die bei jeder kleineren Feierlichkeit aus ihren Löchern kriechenden Flaschensammler an die Grenzen ihrer Arbeitskraft geraten. Müllsäckeweise werden hier Millionen gesammelt und verdient, von Menschen die vielleicht trotz einer möglicherweise vorhandenen Notlage noch Geschäftssinn haben und sich nicht zu schade sind ihre Geldbündel zunächst in 8-25cent teuren Plastikstücken von der Fahrbahn zu kratzen. Danke an dieser Stelle an die Unterstützer dieser Schattenwirtschaft.
Bleibt nur noch die Geschichte von dem jungen Mann, der beim Versuch ein vor öffentlichen Blicken geschütztes Plätzchen zum Wasser lassen zu finden, sich auf abschüssigem Gelände über einen Zaun schwang und mit bereits geöffneter Hose ins Rutschen geriet, sich im Zaun verfing und sich dabei eine klaffende Fleischwunde im Bauchbereich zuzog. Gute Besserung.

RRR
Â

0 comments

You must be logged in to post a comment.