Zwar ist das Springer-Flagschiff BILD weiterhin ein führender Meinungsmacher, aber gerade gebildete Mitmenschen kehren der oftmals wirtschaftlich oder politisch motivierten Berichterstattung der selbsternannten Leitmedien den Rücken zu und weichen auf das Internet aus. Während das World Wide Web lange Zeit nur ein Nebenschauplatz für politischen Journalismus blieb und sich in erster Linie durch die Online-Ableger großer Zeitungen und Fernsehsender definierte, entstand spätestens zu Beginn dieses Jahrtausends eine völlig autonome politische Kultur im Internet. Alternative Medien für alternative, unangepasste Menschen. Kein Wunder also, dass die Blogosphäre zunächst primär von politisch Linken und Liberalen genutzt wurde, um eine andere Betrachtungsweise auf zentrale Themen zu ermöglichen. Doch auch die Rechten und Konservativen entdeckten die Möglichkeiten dieser neuen Welt für sich und gerade in Deutschland erfreuen sich rechte Blogs inzwischen großer Beliebtheit.
Rechtsextremismus in Deutschland
Deutschland hat aufgrund seiner Vergangenheit eine besondere Beziehung zum Rechtsextremismus – das ist nicht neu. In den Nachkriegsjahren wurde zwar offiziell „entnazifiziert“, aber ein Volk, das mehrheitlich den Nationalsozialismus und seinen völlig offenen Antisemitismus unterstützte, kann nicht innerhalb weniger Jahre vollständig geheilt werden. Zwar entlarvte spätestens die 68er-Bewegung diese politische Naivität, aber trotzdem ist bis heute die Schere zwischen bekennendem und verstecktem Erbe des Nationalsozialismus in Deutschland so groß wie in keinem anderen Land. Bekennende Nazis gibt es nur wenige. Trotzdem zu viele, mag man als vernunftbegabter Mensch denken, aber die weitaus größere Gefahr geht von jenen Menschen aus, die den Deckmantel der Demokratie benutzen, um rechtsextreme Werte zu verbreiten.
Digitaler Stammtisch
Ein Phänomen dieses neuen Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft möchten wir an dieser Stelle behandeln: das Internetportal Politically Incorrect von Stefan Herre. Die politische Internetseite kämpft nach eigenen Angaben „gegen die Islamisierung Europas“ und „für Grundgesetz und Menschenrechte“. Zudem schmückt man sich noch mit den Attributen „proamerikanisch“ und „proisraelisch“. Ein genauerer Blick lässt diese Selbstdarstellung aber schnell fragwürdig erscheinen. So erwidert Chefredakteur Herre auf den Vorwurf, seine Seite sei rassistisch: „Moslems bilden keine Rasse, nicht einmal eine Ethnie“ – und macht somit deutlich, dass er sich lediglich am Begriff des Rassismus stört, nicht jedoch die eigentliche Problematik erkennt. Aber wen wundert es? Verkauft er doch schließlich Artikel mit den Aufschriften „Islamophobic and proud of it“ und „Kampf gegen Links“. Doch wir bewegen uns weiterhin nur an der Oberfläche von Herres Ideologie. Bis hierhin lässt sich mit viel gutem Willen noch immer einräumen, dass islamistische Gewalt tatsächlich ein großes Problem unserer Zeit darstellt, das Herre in den Medien schlicht unterrepräsentiert sieht. Nach dem Lesen weniger Beiträge wird jedoch deutlich, dass Politically Incorrect nicht zwischen Islam und Islamismus unterscheidet. Schlimmer noch, man bekämpft nicht bloß den in ihren Augen vielleicht menschenrechtsfeindlichen Islam, sondern explizit jeden einzelnen bekennenden Moslem. Diese werden dann verächtlich als „Musel“ oder ironisch als „Kulturbereicherer“ bezeichnet. Gelangt ein Verbrechen an die Öffentlichkeit, an dem ein aus dem muslimischen Kulturkreis stammender Einwanderer beteiligt ist, so wird dieses genüsslich ausgeschlachtet und auf den Islam zurückgeführt. Ob der Täter tatsächlich gläubiger Moslem ist und welche sozialen und gesellschaftlichen Aspekte (z.B. Bildung, Arbeitslosigkeit) vielleicht bei der Bewertung des Verbrechens zu beachten sind, ist für Politically Incorrect gleichgültig. Die Themen Islamismus und Ausländerkriminalität verschmelzen zu einer maßlosen Zelebrierung umfassender Islamophobie. Da erscheint die Unterstützung pluralistischer und freiheitlicher Gesellschaften wie Israel und Amerika mehr als paradox, lehnt man doch die grundlegenden Werte dieser Staaten offensichtlich ab.
Von Linksfaschisten und linken Nazis
Diese perfide Logik findet auch in anderen Zusammenhängen Verwendung. So werden aus AntifaschistInnen „Linksfaschisten“ und aus Grünen „linke Nazis“. Wer die Probleme unserer Zeit vielschichtig beleuchtet oder gar soziologisch untermauert, betreibt „Schönfärberei“ und ist ein naiver und ahnungsloser „Gutmensch“. Da passt es natürlich perfekt ins Bild, dass man auch anderen linken Themen feindlich gegenübersteht. So bewirbt Politically Incorrect diverse anti-ökologische Bücher und betreibt in Bezug auf Grünen-Politiker Volker Beck eine offene Homophobie. Im Zuge der Verhaftung Becks vergangenes Jahr in Russland wurde in den Kommentaren zudem kleinlich berichtet, wie man sich die Behandlung Becks im Iran vorstellt. Diese Schilderungen sind an latenter Homophobie und Gewaltglorifizierung kaum zu überbieten. Die Seite, die vorgibt, für Menschenrechte zu kämpfen, entpuppt sich somit selbst als Sammelbecken für menschenfeindliche und gewaltverherrlichende Ideologien! Unter dem Vorwand, die Demokratie und die Menschenrechte zu schützen, werden diese Stück für Stück demontiert. Durch Politically Incorrect wird Islamophobie scheinbar gesellschaftsfähig und rechtsextreme Werte finden Einzug in die Mitte unserer Gesellschaft. Alter Hass, alte Methoden – bloß der Sündenbock ist neu. Folgender Kommentar eines Benutzers der Seite fasst es erschreckend deutlich zusammen: „Die einzige sinnvolle Reform des Islam ist dessen kompromisslose Vernichtung.“ Deutschland, hast du wirklich nichts gelernt?
jk
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