RUB-Studierende als TheatermacherInnen
Sanfte Revolution
auf der Bühne
Eine kleine Sternstunde des (studentischen) Theaters konntet Ihr Ende März sowie am vorvergangenen Wochenende bereits fünfmal im Ringlokschuppen Mülheim erleben: In einer Inszenierung von Alexander Kerlin, Fabian Lettow und Mirjam Schmuck (Regiemitarbeit: Jasmin Stommel, Lisa Overmann) wurde dort Einar Schleefs 1986 uraufgeführtes, hochpolitisches Bühnenstück „Die Schauspieler“ gezeigt, das soziale Zerfallsprozesse in Zeiten ökonomischer Prekarisierung unter die Lupe nimmt. Ein Thema, das nicht zuletzt aus der Perspektive der ,Generation Praktikum‘ aktueller denn je erscheint!

„Kann man einen richtigen Penner mit einem richtigen Schauspieler verwechseln?“ Diese zentrale Replik des Stückes legt den Finger in die klaffende Wunde gegenwärtiger gesellschaftlicher Verwerfungen: Zunehmende ökonomische Ausgrenzung hat eine Prekarisierung immer größerer Teile der Bevölkerung zur Folge, die bei Schleef im Versuch der Aufführung eines Theaterstücks über Wohnungslose in einem Obdachlosenasyl (in Gestalt der Gruppen »Schauspieler« versus »Penner«) wechselweise miteinander interagieren und dann wieder schroff aufeinanderprallen. Das Experiment des Stücks im Stück kommt daher einer beinahe übermenschlichen Zerreißprobe gleich: Kaum erträgliche Spannungen prägen die Interaktion der »SchauspielerInnen« (Burkhard Forstreuter, Hans-Christian Mühlmann, Mi-Sah Rehnolt, Julia Dillmann) mit den »AsylbewohnerInnen« (Kolja Schmidt, Detlev Seitz, Patrick Dollas, Bianca Künzel, Mirjam Schmuck). Um in die „Gemeinschaft der sozial Degradierten“ aufgenommen zu werden, müssen sich die AkteurInnen Initiationsriten unterziehen, die immer wieder die Grenze menschlicher Würde antasten. Ein solidarisches Miteinander wird durch Hierarchiebildung und Ausgrenzung innerhalb der Prekarisierten unmöglich gemacht. Als die Hoffnungslosigkeit am größten scheint, tritt – ähnlich wie in Gerhard Hauptmanns „Die Weber“ – der Chor (Frauke Daum, Kathrin Ebmeier, Marina Eichler, Kama Frankl, Petra Hollstein, Caroline Martiny, Kirsten Möller, Rasmus Nordholt, Sebastian Radermacher, Feeke Rascher, Gregor Runge, Sebastian Schröer, Lisa Schwalb, Jascha Sommer, Dobrina Trifonova, Nadine Voß, Julia Warnemünde, Klaas Werner, Manuel Zauner) auf den Plan…

Von der (gesellschaftlichen) Pest kündet der Sprechgesang des sich aus dem Bühnenhintergrund heraus rasch formierenden Chores, aber auch von Straßenkampf und der Notwendigkeit revolutionären Wandels, motiviert durch existenzbedrohenden Mangel an elementaren Gütern: „Gebt zu essen. Gebt zu wohnen. Gebt zu trinken. […] Wohnung und Nahrung.“ Im gleichen Atemzug jedoch wird – in Zeiten der Prekarisierung künstlich verknappte – „Arbeit“ sowie „Wissen“ als – gegenwärtig zunehmend der Ökonomisierung unterworfenes – Gut eingefordert, das für die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit bereitzustellen ist. Die Rezitative des Chores wechseln sich ab mit bekannten Gesängen der Arbeiterbewegung wie dem „Einheitsfrontlied“ sowie dem „Solidaritätslied“ von Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Die Aufforderung zu einem solidarischen Miteinander erreicht die RezipientInnen wie ein mahnendes Echo aus dem Off: Nachdem der Chor mit dem zur Endlosschleife reduzierten „Vorwärts – und nicht vergessen“ auf den Lippen den Bühnenraum verlassen hat, erklingt das Schlüsselwort „Solidarität“ erst als leiser Nachklang aus dem Foyer, wo sich der Chorgesang gleichsam als Kommentar zur weiteren Bühnenhandlung fortsetzt. Jeder weitere Versuch einer egoistischen Existenz des Individuums außerhalb des Kollektivs erscheint vor diesem (akustischen) Hintergrund in zunehmend fragwürdigem Licht. Durch den innovativen Einsatz des Chores wird die somit sehr unaufdringlich daherkommende politische Dimension der „Schauspieler“ in künstlerisch sehr überzeugender Weise akzentuiert.
In einer sicherlich über Einar Schleefs ursprüngliche Konzeption hinausgehenden postmodernen Brechung der harten politischen und zwischenmenschlichen Konflikte des Stückes wird zudem die Möglichkeit einer wunderbaren Auflösung in Gestalt einer ‚sanften Revolution‘ spürbar. Eine Adaption des Refrains des Tocotronic-Songs „Pure Vernunft darf niemals siegen“ versetzt die Bühne zeitweise in harmonische Schwingungen: „Wir sind so leicht, dass wir fliegen.“ Die hierin anklingenden harmonischen Zwischentöne ergänzen kontrapunktisch die im Publikumsgespräch nach der jüngsten Aufführung in Mülheim konstatierte „gelungene Radikalität des Körperlichen“. Zugleich konterkarieren sie die dort geäußerte Kritik, die Aufführung habe „unter der Wucht der Bilder gelitten“. Kritische Distanz zur „bedeutungsschweren Performance“ der Inszenierung, wie sie in einer WDR-5-Rezension im Kulturmagazin „Scala“ (31.3.08) geäußert wurde, erscheint somit eher unangemessen. Die sanft-revolutionäre Botschaft der als Kollektiv brillant ins Spiel kommenden »Schauspieler« jedenfalls wird von den AkteurInnen derart professionell umgesetzt, dass zwischen etatmäßigen Bühnenprofis und diesem freien, zu einem großen Teil studentischen Ensemble keinerlei Qualitätsunterschied spürbar ist. Das u. a. in Zusammenarbeit mit dem Institut für Teaterwissenschaft der RUB aufgeführte Stück ist am 3. und 4. Mai ab 19.30 Uhr noch zweimal im Schloßtheater Moers zu sehen. (Tickets könnt Ihr direkt unter www.schlosstheater-moers.de bestellen.) Ihr solltet es Euch nicht entgehen lassen!

Bilder: Andreas Backhaus
USch

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