Griechisch für Anfänger

In letzter Zeit scheint in den Debatten zur Bildungspolitik der alte Terminus „Humboldt’sches Bildungsideal” seltener aufzutauchen. Das bietet Gelegenheit, den alten Klassiker emotionsfrei näher unter die Lupe zu nehmen, um als der obercoole Checker mit Peil schlechthin auftrumpfen zu können, sollte er wieder einmal Mode werden.

Zunächst darf man den Bildungsreformer Wilhelm von Humboldt (1767-1835) nicht mit seinem Bruder Alexander (1769-1859) verwechseln. Letzterer war brillanter Naturwissenschaftler mit Hummeln im Hintern, weshalb er mit den neusten Methoden seiner Zeit Südamerika sowie Zentralasien mit einer interdisziplinären Gründlichkeit erforschte, die ihm Weltruhm einbrachte.

Seine historische Rolle spielt Wilhelm während einer sehr kurzen Periode: 16 Monate lang ist er 1809-1810 im Staate Preußen „geheimer Staatsrat und Direktor der Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichts im Ministerium des Innern”. Dass er in dieser Zeit das preußische und damit mittelbar das deutsche Bildungswesen mit atemberaubender Geschwindigkeit grundlegend und auf lange Zeit prägend reformieren kann, hat seine Ursache im Zusammenbruch des alten, konservativen Preußen nach der Herausforderung durch Napoleon, der den Widerstand der Reaktionäre gegen die Stein- und Hardenbergschen Reformen vorübergehend brach.

Wir übersetzen Humboldts Positionen in die heutige Zeit: Er wehrt sich gegen die Vorstellung, Bildung sei (nur) Erwerb von Berufsqualifikationen. Er glaubt, jeder Mensch bräuchte ein Grundgerüst an Kenntnissen zur „Bildung der Gesinnungen und des Charakters”, um eine souverän-selbstbestimmte Persönlichkeit im Gemeinwesen sein zu können. Spezialkenntnisse für einen speziellen Job – das kommt nebenbei und hat im allgemeinen Schulunterricht nichts zu suchen.

Schule (das Gymnasium) hat die Funktion, auf die Universität vorzubereiten, wo der Studierende zunächst allgemeine wissenschaftliche Methodik charakterprägend(!) verinnerlicht, um sich dann – ohne die interdisziplinäre Perspektive aus dem Auge zu verlieren – einem Spezialgebiet zuwenden zu können. Forschung soll betrieben werden sowohl durch Angeleitete (Studierende) wie auch durch Anleitende (ProfessorInnen), die ihre eigenen Forschungsergebnisse lehren, weshalb die Einheit von Forschung und Lehre unverzichtbar ist.

In der Schule setzt Humboldt diese Politik um durch Schaffung des humanistischen Gymnasiums, das er bis ins Detail reglementiert (das Schuljahr ist bspw. seine Erfindung). Musteruniversität wird die 1810 gegründete Universität Berlin (heute: Humboldt-Uni).

Bei der Bestimmung der konkreten Bildungsinhalte ist Humboldt Kind seiner Zeit: als Vertreter der deutschen Klassik – er war eng mit Schiller und Goethe befreundet – glaubt er, im antiken Griechenland habe man die Idealvorstellung des souverän-selbstbestimmten Bürgers realisiert. Das Resultat ist die Fixierung des Gymnasiums auf die Antike, namentlich auf das Altgriechische, weshalb die Vermittlung von Inhalten zum Verständnis der modernen Zeit zu kurz kommt.

Michael Jack

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