Bild: Freiräume jetzt! Die Banner verkündeten die Hausbesetzung, Nach der Räumung: Sechs Tage Avanti in der Dortmunder Nordstadt Foto: bent

Am Freitag, den 29. August, wurde das soziale Zentrum Avanti in der Dortmunder Nordstadt geräumt, um wegen versuchter Tötung, wie die Polizei begründete, zu ermitteln. Für die Menschen im Viertel verkörperte das selbstverwaltete Sozial- und Kulturzentrum aber auch eine Aufbruchstimmung. Eine Chronik der sechstägigen Besetzung.

Eine fast klischeehafte Szene ist das: Der Freitagabend im linken Nordpol steht unter dem Motto „Freiräume erkämpfen“. In den gemütlichen Räumlichkeiten an der Münsterstraße lauscht man einem Vortrag über die Hausbesetzungen der letzten Jahre im Ruhrgebiet, etwa des Gebäudes auf dem Thyssen-Krupp-Gelände in Essen vor ein paar Tagen oder der Bärendelle vor einem Jahr. Dann geht die Tür auf, jemand ruft: „Hausbesetzung an der Enschederstraße!“ Die Info verleitet prompt zu Tatendrang, auf den Stühlen hält es keinen mehr. Schnell ist man drüben am Borsigplatz, im Herzen der Nordstadt, wo an der ehemaligen St. Albertus-Magnus-Kirche eine Banneraufschrift die Hausbesetzung ankündigt: „Freiräume erschaffen, jetzt“. Genauso schnell zeigt sich auch: Ein solches soziales Zentrum, das die BesetzerInnen und UnterstützerInnen schon in der ersten Stunden anfangen zu etablieren, war (und ist) im Brennpunkt-Viertel Nordstadt mehr als überfällig.

Doch noch während der Nacht der Besetzung geht eine Anmeldung der Nazis für eine Kundgebung ein; der „Stadtschutz Dortmund“ der Rechten will für „Ruhe und Ordnung“ sorgen. Die Polizei verschweigt das bis zuletzt – ein Skandal!

Steinwurf vom Dach?

Die Meldung sickert erst am nächsten Nachmittag durch. Der Nazi-Mob, der zuvor noch beim Christopher Street Day pöbelte, marschiert zum Avanti-Zentrum,  Polizeiaufgebot ist erst kurz vor dem Eintreffen der Faschisten vor Ort, Menschen positionieren sich zum Schutz vor dem Kirchentor. Die Lage ist entsprechend angespannt. Ziegelsteine werden, so der Vorwurf mit später fatalen Folgen, von Linksautonomen vom Gebäudedach Richtung Nazis geworfen. Nur wenige Meter vom Avanati entfernt, findet der übliche Nazi-Spuk statt: „Deutschland den Deutschen“ rufen die Figuren der Rechten. Auch die EinwohnerInnen haben darauf keinen Bock. Sie sind zudem mehr – und viel lauter: „Wir sind Kanaken. Ihr seid Kakerlaken“, schallt es spöttisch zurück. Irgendwann hört man nicht mehr die Nazi-Parolen, dann sind sie auch weitergezogen, im Avanti startet eine Soli-Party.

Ort der Solidarität: Soziales Zentrum für alle

Donnerstag Vormittag. Im Avanti haben sich feste Strukturen herausgebildet, man trifft sich regelmäßig in Plenen, diskutiert, plant, bespricht was zu tun ist, etwa in den verschiedenen AG‘s für Renovierung, Nachbarschaft oder Öffentlichkeit – denn es gibt viel zu tun: Mit den Eigentümern, der Kirchengemeinde, muss verhandelt werden, ein Nachbarschaftsfest wird organisiert – für viele Menschen wirkt das Avanti inspirierend. So auch für Jens, der dem Avanti fast das komplette Mobiliar aus seinem Keller zur Verfügung stellen will: „Kannst Du gleich noch vor dem Plenum mitanpacken?“ Wer am Avanti ankommt, wird von einer Aufbruchstimmung angesteckt, jeder packt mit an, manche wie Jens übernehmen sich: „Hatte nachts ,Türschicht‘, hab dann ein paar Stunden geschlafen und heute morgen wieder zurück.“ Aus den Augenringen strahlt Begeisterung für das selbstverwaltete Hausprojekt. Man weiß, dass die Duldungsfrist von einer Woche, die die Kirchengemeinde den BesetzerInnen gab, bald ausläuft. Trotzdem ist die Stimmung abends ziemlich ausgelassen, als eine Jam Session stattfindet. Viele bringen ihre Instrumente mit, spielen auf der Bühne oder gemeinsam im Stuhlkreis. Auch Jens hat seine Ukulele dabei, auf dem Kirchenhof zupft er unbeholfen auf den Saiten herum, ziert sich, bei der Jam Session mitzumachen. Und zögert bis zuletzt. Das war auch die letzte Gelegenheit. Am nächsten Morgen wird das Avanti überraschend geräumt. Für ihn kehrt wieder der trostlose Erwerbslosen-Alltag ein.

Vorwurf der versuchten Tötung: Räumung am frühen Morgen

Um kurz nach sieben Uhr am nächsten Morgen umstellt eine Einsatzhundertschaft der Polizei die Kirche, ein Räumungspanzer parkt hinter dem Gebäude, Ermittlerfiguren, wie man sie aus schlechten Krimiserien kennt, steigen aus Autos; die unvorbereiteten BesetzerInnen werden schnell raus geführt. Die PolizistInnen begründen die Räumung mit dem Steinwurf vom letzten Samstag, das Avanti ist nun Tatort, an dem wegen versuchter Tötung ermittelt wird. „Die Kirche ist geräumt, da ist jetzt nur noch der Pfarrer drin“ informiert ein Polizist an der abgesperrten Enschederstraße. Totschläger in einem Kulturzentrum, wo Kinder auf Hüpfburgen toben? Ein Pfarrer in der Kirche, die zur Spurensicherung als Tatort geräumt wurde? Die polizeiliche Räumung wirft Fragen auf. Genauso auch Wut über die Arroganz von Stadt und Polizei, die noch am Abend in einer Spontandemo artikuliert wird.

Das Ende des Avanti ist klischeebeladen wie der Anfang: Der graue Himmel verleiht dem Borsigplatz wieder die übliche Tristesse, eine herbstliche Stimmung hat sich in den Spätsommer geschlichen, als die ausgewiesenen BesetzerInnen Richtung Nordpol gehen, das nach der Räumung Anlaufpunkt für Organisation und Koordination ist. Erschöpfte und müde Gesichter versinken drinnen in der Couch. Fast eine Woche der Besetzung, des Aufbruchs liegt hinter Ihnen. Jetzt endet es, wo es anfing: Im Nordpol. Mitte September soll es dort übrigens wieder einen Vortrag über Hausbesetzungen geben.

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