Bild: Klassische Literatur im Eignungstest. ano

„[W]ann zeigt der Glühwurm sich in seiner wahren Gestalt, – wenn er als poetischer Funke durch die Sommernacht schwebt, oder wenn er als niedriges, unansehnliches Lebewesen sich auf unserem Handteller krümmt?“

Der 1954 erschienene Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ von Thomas Mann hat eine jahrzehntelange und durch Unterbrechungen gezeichnete Entstehungsgeschichte. Am Ende steht ein Fragment mit autobiographischem Charakter, das den klassischen Bildungsroman parodiert. Die von Mann geplante Fortsetzung fehlt jedoch bis heute. Damit bleiben die „Bekenntnisse“ die letzte Romanveröffentlichung des Autors, der zu den wichtigsten deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts zählt.
Die Geschichte erzählt vom sozialen Aufstieg des Protagonisten und spielt im ausgehenden 19. Jahrhundert – einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, rasanter sozialer Aufstiege und exzessiver Lebensstile. Neben der Darstellung einer „Geld-, Diner- und Lustreisegesellschaft“, wie Mann sie nennt, findet man auch viele Elemente, die kennzeichnend für die städtische Wahrnehmung in diesem Jahrhundert sind. Eine moderne, beschleunigte Lebenswelt, in der nur selten etwas stillsteht, zeichnen später auch die Sinneseindrücke, welche Felix über seine Zeit in Frankfurt und im Paris der Belle Époque festhält. Sein Blick ist oft von Spott gezeichnet, wenn er auf die Menschen um sich herum und die Welt in seiner Niederschrift hinabschaut. Aber lasst uns nicht zu viel vorwegnehmen.

Felix Krull wird in Deutschland als Sohn eines Sektherstellers geboren. Seine Familie lebt auf großem Fuße und so kommt er früh mit höheren Kreisen und ihren Lebens- und Unterhaltungsmöglichkeiten in Berührung. Schon von klein auf sieht er sich selbst als „Vorzugskind des Himmels“ und hält sich plump gesagt für etwas Besseres. Das wird auch an dem selbstgefälligen Tonfall deutlich, in dem er seine „Geständnisse“ den Lesern zuträgt. Fast schon stolz erzählt er uns von seinen Hochstaplereien und Täuschungen. Bereits in jungen Jahren schlüpft er verkleidet in verschiedene Rollen, gibt sich als Wunderkind aus, täuscht Krankheiten vor oder stiehlt Süßigkeiten. Zu einem ausschlaggebenden Moment in seinem Leben wird die Begegnung mit dem hässlichen Schauspieler Müller-Rosé, von dessen Zauber auf der Bühne er begeistert ist: „Gebiete deinem Ekel und empfinde ganz, daß er es vermochte, sich in dem geheimen Bewußtsein und Gefühl dieser abscheulichen Pickel mit so betörender Selbstgefälligkeit vor der Menge zu bewegen, […] diese Menge das Ideal ihres Herzens in seiner Person erblicken zu lassen und sie dadurch unendlich zu erbauen und zu beleben!“ Er erhascht einen Blick auf den wahren Charakter der Welt und erkennt, dass Schein und Sein nicht immer zusammenfallen. Die Kunst der Täuschung fasziniert ihn allerdings so sehr, dass er sich ihr mit Leib und Seele hingibt. Wo andere einen Hochstapler sehen, sieht er einen bewanderten Künstler. Auch stellt er fest, dass „jede Täuschung, der keinerlei höhere Wahrheit zugrunde liegt und die nichts ist als bare Lüge, plump, unvollkommen und für den erstbesten durchschaubar sein [wird].“
Nach dem Suizid seines Vaters verschlägt es ihn nach Frankfurt und er entgeht der Musterung zum Militärdienst durch das täuschend echte Schauspiel eines Epileptischen Anfalls. Mit Hilfe seines Paten Schimmelpreester bekommt er schließlich eine Anstellung als Liftboy in einem Pariser Grand Hotel. In der Metropole geht er seiner Arbeit im Hotel nach und wird bald zum Kellner befördert. Sowohl Männer als auch Frauen liegen ihm dabei zu Füßen und so ist es nicht verwunderlich, dass er sich kaum noch vor Geständnissen und verrückten Liebesgeschichten retten kann. Sein Charme ist so stark, dass er sogar einer hoffnungslos Verliebten das Heiraten ausreden muss. Doch seine anziehende Wirkung hat auch ihre Vorteile und so erlangt er durch einen nicht ganz legalen und etwas ungewöhnlichen Nebenverdienst Geld, das er in sein Doppelleben als Dandy in der feinen Pariser Gesellschaft investiert.
Während seiner Arbeit als Kellner wird Marquis de Venosta auf ihn aufmerksam und macht ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag: Felix Krull soll die Rolle des Marquis einnehmen, um an seiner Stelle eine lange Reise ins Ausland anzutreten. Die beiden beginnen damit, akribisch einen Plan aufzustellen, damit der Betrug nicht auffliegt. So kommt es letztendlich dazu, dass Felix in Gestalt des Marquis de Venosta die Fahrt nach Lissabon antritt und die Vorzüge von Reichtum kennenlernt. Mit verschiedenen Methoden tut er dabei alles dafür, die Täuschung aufrecht zu erhalten. Doch dieses tägliche Schauspiel bleibt nicht folgenlos für seine Psyche. An dieser Stelle sei jedoch zum Inhalt des Romans genug gesagt worden und es liegt nun an Euch, herauszufinden, wer dieser Felix Krull eigentlich ist und wie es für ihn weitergeht.

Die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ sind auf ca. 400 Seiten festgehalten, lesen sich aber langsamer als die zeitgenössische Belletristik aus dem Buchhandel. Das liegt daran, dass Felix teilweise lange aufeinanderfolgende Gedankengänge schildert und generell viel über das berichtet, was er wahrnimmt. Dieser Fokus auf das Innenleben ist aber gar nicht schlecht, sondern spannend zu beobachten. Auch ist es interessant zu lesen, welche Tricks der Hochstapler sich einfallen lässt, um seine Mitmenschen zu täuschen. Durch seine Art der Erzählung wird der Inhalt aufgelockert und verdaulicher gemacht, wodurch sich die Lektüre angenehm gestaltet. Der Roman lässt sich entspannt über einen längeren Zeitraum lesen und schmeckt am besten mit einer heißen Tasse Tee. Lese-Faultiere können sich stattdessen aber auch eine der Verfilmungen anschauen, die vor einigen Jahren rauskamen.

:Alina Nougmanov

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