Bild: „Anti-Gender“ im polnischen Internet: „Gender – hier verlieren sogar Spiele und Trickfilme der Kindheit ihre Normalität.“, Klassiker „Kirche gegen Aufklärung“ wird im polnischen Parlament fortgeführt Quelle: stopgender.pl

Polnische ParlamentarierInnen haben der „Gender-Ideologie“ den Kampf angesagt. In der Gruppe „Stop ideologii Gender!“ haben sich 17 meist konservative PolitikerInnen zusammengeschlossen, um diese „Ideologie aus dem öffentlichen Leben zu eliminieren“. Damit tragen sie die Bestrebungen der katholischen Kirche in Polen in die Politik. Aber anscheinend haben weder die Bischöfe noch die VolksvertreterInnen eine Ahnung davon, was mit Gender überhaupt gemeint ist.

„Ich hörte von einem Herrn Andrzej Gender aus Danzig, der sich seit einiger Zeit unwohl mit seinem Namen fühlt“, erzählt eine Journalistin der „Gazeta Wyborcza“ verschiedenen Abgeordneten des Sejm, des polnischen Parlaments. „Ach Sie Ärmster!“, sagt daraufhin die Abgeordnete Anna Grodzka (Twój Ruch [TR], „Deine Bewegung“) in die Kamera. „Ich hoffe, dass diese Welle der Unvernunft bald vorbeigeht und Sie wieder zu den Lebenden zurückkehren können.“ Ein anderer Parlamentarier legt Herrn Gender eine Namensänderung nahe. Robert Biedroń (Twój Ruch) befürchtet, dass es „immer mehr Kinder mit ernsthaften Problemen“ geben wird, „weil ihnen Schauergeschichten vom schrecklichen Gender-Ungeheuer erzählt werden.“ Auf die Frage der Journalistin, was sie ihrer 12-jährigen Tochter sagen würden, wenn sie fragt, ob sie gegen Gender geimpft sei, antworten die PolitikerInnen keineswegs mit einem Lächeln und erst recht nicht mit: „Ich würde dem Kind erklären, dass das gar keine Krankheit ist.“ Stattdessen drucksen sie irgendwie herum. Die meisten Polen wüssten gar nicht, was das ist, gesteht einer der Befragten, aber es ist gefährlich.

Ein nur zweiminütiger Clip auf der Internetseite der Tageszeitung und doch so aufschlussreich: „Gender ist für viele ein ausländischer Begriff, den die Leute nicht kennen und den man mit allem Möglichen füllen kann“, sagt Katarzyna Lisowska, die an der Breslauer Uni zum Thema Literaturwissenschaft und Gendertheorie promoviert. Die meisten Menschen wüssten mit dem Begriff gar nichts anzufangen. „Eigentlich kritisieren sie die Queer-Theorie“, erklärt sie gegenüber der :bsz.

Sex, Gender, Queer, Feminismus – alles eins

Leider macht dies auch vor selbsternannten Experten nicht halt, sondern treibt dort sogar noch bizarrere Blüten. Anfang des Jahres wurde im Sejm die Parlamentsgruppe „Stop ideologii Gender!“ gegründet. Allein das Wort Ideologie erinnert die Polen, die unter Faschismus und Kommunismus zu leiden hatten, an Propaganda und Zwang. Die 17 Abgeordneten der Gruppe unter der Leitung der Konservativen Beata Kempa (Solidarna Polska [SP], „Solidarisches Polen“) unterzeichneten laut Gazeta Wyborcza bei ihrem Beitritt, dass sie gegen Folgendes eintreten: ein Gesetz für ein Geschlecht nach Absprache, die Sexualisierung der Kinder in Kindergärten, die Homo-Ehe, die Adoption für gleichgeschlechtliche Paare. Dafür wollen sie die Rolle von Mann und Frau in der Familie stärken. Das berührt durchaus die Gendertheorie – aber eben nicht nur.

Prof. Dr. Renata Siemieńska von der Universität Warschau gilt als diejenige Wissenschaftlerin, die das Thema Gender in die polnische akademische Welt brachte. In einem Interview sagte sie, dass Gender keine Ideologie, sondern als Theorie ein Instrument sei, das es ermögliche, „die Wirklichkeit besser zu beschreiben und Schlüsse aus den Wandelprozessen“ in der Gesellschaft zu ziehen. Gendergegnerin Kempa sieht das anders. Ihrer Ansicht nach führe die „Ideologie“ dazu, dass in Kindergärten Jungen Kleider anziehen müssten, da laut den „Genderisten“ Kinder sich im 4. Lebensjahr ihr Geschlecht aussuchen könnten. „Wer die Augen davor verschließt, ist entweder dumm oder will daran verdienen – wie eben die Genderisten“, sagt Kempa. „Und wir werden das in unserer Parlamentsgruppe beweisen.“

Aus dem intergalaktischen Bestseller „Wo Gott sich irrte“

Die Kreuzritter für Kindeswohl und Kirchentradition sind zwar laut, aber in der Politik in der Minderzahl. Noch. Als beunruhigend sieht Lisowska die Rolle der Kirche in der Angelegenheit. Diese habe in ihrem Land zwar keinen direkten politischen Einfluss, sei aber für die Gesellschaft immer noch enorm wichtig. „Die meisten Menschen kennen den Begriff Gender überhaupt nur aus der Kirche“, sagt die Genderforscherin.

Und dort werden eben nur die schlimmsten Geschichten erzählt. Ein Beispiel: Auf stopgender.pl wird Pfarrer Prof. Dariusz Oko zitiert: „Die Genderideologie ist in gewisser Hinsicht schlimmer als der Nationalsozialismus und der Kommunismus, denn sie führt zum Tod der Nation.“ Damit ist Godwins Gesetz widerlegt: Trotz Hitlervergleich ist diese Diskussion noch lange nicht vorbei.
 

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